Parkour im oder vs. Turnsport? - der aktuelle Status quo
Der Weltturnverband FIG hat im Dezember 2018 die Sparte „Parkour“ offiziell neu aufgenommen. Die FIG ist Mitglied des IOC und der GAISF (Global Association Of International Sport Federations). Daher ist im internationalen organisierten Sport jetzt alleine die FIG für Parkour zuständig – und sonst niemand. Auf den kontinentalen und nationalen Ebenen sind es die jeweiligen FIG-Mitgliedsverbände. Das gefällt sehr vielen in der turnsport-unabhängigen Parkour-Community – global wie in Österreich – ganz und gar nicht.
Teil des internationalen „Sportsystems“ oder „selbständig“?
Man pocht in großen Teilen der Parkour-Szene auf die Selbständigkeit und lehnt die „feindliche Übernahme“ durch die FIG ab. So positioniert sich auch der 2018 gegründete „Österreichische Parkour- und Freerunning-Verband“. Von den aktuell 15 ÖPFV-Mitgliedsvereinen gehört einer auch dem Turnsport Austria an, die anderen 14 nicht.
Gut, könnte man meinen, wenn der ÖPFV und seine Vereine selbständig sein wollen und an den FIG-Angeboten (schon jetzt Weltcups, erste WM 2020) nicht interessiert sind, dann eben nicht. Muss ja nicht sein. Doch so einfach und eindimensional ist es nicht.
21 Turnsport Austria-Mitgliedsvereine bieten bereits Parkour an.
Denn unter den knapp 450 aktuellen Turnsport Austria-Mitgliedsvereinen bieten derzeit bereits 21 regelmäßig Parkour an. Das sind mehr Vereine, als sich z.B. in Österreich dem Trampolinspringen oder der Sportaerobic widmen (oder der ÖPRV zurzeit Mitglieder hat). Dazu kommen jene zahlenmäßig noch nicht erfassten Turnvereine, die Parkour-Bewegungsgut in ihre traditionellen Kinder-/Jugend-Gerätturnangebote integrieren.
Die Situation in Europa.
Von den nationalen Turnverbänden Europas führen – laut einem Untersuchungsergebnis der Europäischen Turnunion UEG – knapp ein Drittel jetzt bereits Parkour-Aktivitäten durch. Ein weiteres = zweites Drittel gibt an, die Integration von Parkour zurzeit zu planen und innerhalb der nächsten beiden Jahre konkret einsteigen zu wollen. Die UEG prüft zurzeit, wann es die ersten Parkour-Europameisterschaften geben kann.
Das Ergebnis der Turnsport Austria-Umfrage.
Im Frühjahr 2019 hatte der Turnsport Austria zum Thema Parkour eine unverbindliche Umfrage unter seinen Mitgliedsvereinen durchgeführt. Für nahezu alle, die an der Umfrage teilgenommen hatten, war das Thema „sehr wichtig“.
Die Antworten teilten sich in etwa zu gleichen Teilen in „ja, der Turnsport Austria soll der FIG folgen und Parkour integrieren“, in „ja, der Turnsport Austria soll Parkour integrieren, aber keine Wettkämpfe anbieten“ und „nein, der Turnsport Austria soll der FIG nicht folgen“ auf. Also insgesamt eine deutliche Mehrheit für Parkour im Turnsport Austria.
Knapp ein Dutzend Personen aus Turnvereinen in mehreren Bundesländern wäre interessiert und grundsätzlich bereit, am Aufbau einer Sparte Parkour im Turnsport Austria aktiv mitzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen.
ABER: Es beteiligten sich nur vergleichsweise wenige Personen und Vereine an dieser mehrere Wochen lang verfügbaren Umfrage, obwohl darüber über alle Kanäle des Turnsport Austria informiert worden war. Aus dieser eher schwachen Umfrage-Beteiligungszahl lässt sich wahrscheinlich der Schluss ableiten, dass dem Thema Parkour im überwiegenden Großteil der österreichischen Turnsport-Szene zurzeit noch kaum Interesse und Bedeutung zukommt.
Wirklich dringender Handlungsbedarf, weil das Thema „brennt“, lässt sich jedenfalls für den Turnsport Austria nicht ableiten. Der überwiegenden Mehrheit der heimischen Turnvereine dürfte Parkour zurzeit schlichtweg egal sein.
Die persönlichen Kommentare aus der Turnsport Austria-Umfrage
Am Ende der Turnsport Austria-Parkour-Umfrage fand sich die Möglichkeit, eine persönliche Stellungnahme abzugeben. Einige nützten die Gelegenheit. Wir stellen alle abgegebenen Kommentare (in chronologischer Reihenfolge, anonymisiert) hier vor:
„Ich finde das Streben des Turnsport Austria zweifelhaft, nicht vertretbar und weder dem Turnsport noch dem Parkoursport förderlich.“
„Der Fokus muss noch stärker auf die Grundsportart Kunstturnen gerichtet werden. Die "Nebensportarten" entwickeln sich dann von alleine. Schon damals durch die Förderung von Turn10 gingen in den Vereinen viele Talente verloren.“
„Ich bin gänzlich dagegen, eine weitere Sportart aufzunehmen, da das Geld nicht mehr wird und daher vorhandenes Budget weiter aufgeteilt wird. Auch wenn eine neue Sparte anfangs ohne Budget auskommen muss, so kommt es doch nach einigen Jahren zu immer mehr Kosten.“
„Turnen ist ein Wettkampfsport, der Wert auf Präzision legt. Parkour, Freerunning, etc. ist reine Bewegungsfreude und Spaß, was zwar gefördert werden sollte (vielleicht in Form von Kursen, Events, Jams...), aber im Wettkampfsport nichts verloren hat.“
„Super wären Parkour-Trainerausbildungen damit wir diesen Sport perfekt integrieren können!“
„Ich denke es wäre eine gute Idee, dazu die Parkour Community zu befragen und nicht nur Turner, beziehungsweise auf die Entscheidung der Community Rücksicht zu nehmen, denn sie sind es, die diese Änderungen im Endeffekt betreffen.“
„Parkour ist in einen Turnverein mit üblicher Ausstattung nicht integrierbar, da weder die Halleneinrichtung noch die traditionellen Turngeräte den Belastungen standhalten. Die notendigen Umbauten und die zusätzlichen Einrichtungen machen einen geordneten Turnbetrieb aber unmöglich“.
„Die neue Sparte würde dem Turnsport Austria nur zusätzliche Kosten verursachen und vielleicht anderen Sparten des Turnsport Austria Aktive wegnehmen.“
„Ich finde, dass das Gerätturnen in der herkömmlichen Art darunter leiden würde.“
„Wir haben in unserem Verein zwei sogenannte "Freerunning"-Gruppen und einen dafür gebauten Park in unserer Gemeinde. Eine gezielte Ausbildung und Unterstützung unserer Trainer durch den Turnsport Austria würde und helfen, diesen Bereich zu professionalisieren.“
„Die Aufnahme einer weiteren Turnsport Austria-Sparte würde unser Nachwuchsproblem zusehends verschärfen und noch mehr Kinder würden sich für eine lässige Freizeitsportart entscheiden und nicht mehr für den Leistungssport. Und unser geringes Budget müssten wir dann wohl auch mit noch einer Sparte teilen. Ich habe bislang kaum Erfahrung mit Parkour gemacht, aber immer wieder fragen uns Eltern, ob Kinder - oder meist schon Jugendliche - bei uns im Kunstturnen einsteigen könnten, weil ihnen Freerunning / Parkour zu gefährlich geworden ist: Knochenbrüche, Bänderrisse und dergleichen mehr... naja.“
„Ich sehe es in Österreich als eine Rettung des Turnsports im Bereich der Jugend. Zudem sollte über eine Aufnahme von Calisthenics ebenfalls nachgedacht werden.“
„Wir hatten lange Zeit Parkour bei uns im Verein. Erstens war die Abnutzung der Turngeräte in unserer Halle dadurch unverhältnismäßig stark. Zweitens erwiesen sich die Anschauungs-Unterschiede größer als beispielsweise zwischen Turnen und RG oder Sportakrobatik oder auch Showdance. Es gab daher keine echte Zusammenarbeit oder gegenseitige Annäherung“.
„Parkour ist der Tod einer jeden Gerätesporthalle, wir haben derartig viele Schäden die von einer fremden Parkourgruppe in unserem Turnzentrum gemacht werden, die Kosten sind nicht mehr tragbar, diese Leute wurden auch bereits in anderen Vereinen eliminiert, weil die Abnützung bei den Geräten zu groß ist, die Leute nicht in bestimmte Bahnen gelenkt werden können. Happylanding Matten werden systematisch zerstört, ebenso Schwebebalken, Stufenbarren und Faltmatten“.
„Gefährlich, sinnlos, nicht geeignet für die Allgemeinheit. Brauchen wir so eine Entwicklung wirklich?“
19/04/19
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